Wanderungen durch die Mark Brandenburg
Vierter Teil: Spreeland, An der Spree

»Wo liegt Schloß Köpenick?« An der Spree;
Wasser und Wald in Fern und Näh,
Die Müggelberge, der Müggelsee.

Schloß Köpenick ist eines der vielen Hohenzollerschen Schlösser, die sich unter den mannigfachsten deutschen und französischen Namen im Spree- und Havellande vorfinden und von deren Nochvorhandensein die wenigsten unter uns eine Kenntnis haben. Wir entsinnen uns in der Regel, von diesem und jenem Schloß in diesem oder jenem Geschichtsbuch gelesen zu haben, und knüpfen die Vorstellung, oft auch die Hoffnung daran, daß dasselbe mit all seinen ihm Leben leihenden Personen zugleich vom Schauplatz abgetreten sei. In der Tat, die Bemühungen unserer Phantasie, wenn wir von königlichen Schlössern sprechen oder sprechen hören, gehen gemeinhin nicht viel über die Bilder von Sanssouci, Rheinsberg und Charlottenburg hinaus, und einem glücklichen Zufalle bleibt es vorbehalten, uns durch den Augenschein zu belehren, daß auch Schwedt und Küstrin und Wusterhausen und Oranienburg noch ihre wirklichen Schlösser haben. Zu diesen seitab gelegenen und verschollenen Existenzen gehört auch Schloß Köpenick, in betreff dessen wir ein altes, ein mittleres und ein neues unterscheiden.

Das alte Schloß Köpenick stand schon, als die Deutschen unter Albrecht dem Bären ins Land kamen. Jaczko oder Jasso, der letzte Wendenfürst, an dessen Bekehrung die schöne Schildhornsage anknüpft, residierte daselbst. Nach seiner Unterwerfung wurde seine Residenz, eine Wendenveste, zur markgräflichen Burg, aber weder Bild noch Beschreibung sind auf uns gekommen, aus denen wir ersehen könnten, wie Schloß Köpenick zur Zeit der Askanier oder Bayern oder ersten Hohenzollern war. Es muß uns genügen, daß wir von seiner Existenz wissen. Auch seine Geschichte verschwimmt in blassen, charakterlosen Zügen, und alles, was mit bestimmterem Gepräg an uns herantritt, ist das eine, daß es in diesem alten Schlosse zu Köpenick war, wo der von Otterstedt an die Türe seines kurfürstlichen Herren schrieb:

Jochimken, Jochimken, höde dy,
Wo wi di krigen, do hängen wi dy.

Das alte Schloß stand bis 1550. Kurfürst Joachim II., ein leidenschaftlicher Jäger, dessen Weidmannslust ihn oft in die dichten Forsten um Köpenick herum führte, ließ den alten Bau niederreißen und ein Jagdschloß anstelle desselben aufführen.

Dies Jagdschloß Joachims II. oder das mittlere Schloß Köpenick stand wenig über 100 Jahr, aber seine Geschichte spricht schon in deutlicheren Zügen, und die Meriansche »Topographie« hat uns ein Bild desselben (etwa aus dem Jahre 1640) aufbewahrt. Nach diesem Bilde war es ein regelmäßiges Viereck, das zur einen Hälfte aus zwei rechtwinklig aufeinanderstoßenden Flügeln, zur andern Hälfte aus zwei niedrigen, ebenjenes Viereck herstellenden Mauern bestand; der ganze Bau von fünf Türmen überragt, vier an den Außenecken, der fünfte innerhalb des Schloßhofs, in dem von den beiden Flügeln gebildeten rechten Winkel.

Joachim II. weilte gern in Schloß Köpenick. Sein Hof- und Jagdgesinde war dann um ihn her, auch die Söhne wohl, die ihm Anna Sydow, »die schöne Gießerin«, geboren hatte. In früheren Jahren hatte diese selbst bei den jedesmal stattfindenden Lustbarkeiten nicht gefehlt, bis ein an und für sich geringfügiger Vorfall einen tiefen Eindruck auf des Kurfürsten Herz machte. Die Bauern sahen Anna Sydow samt ihren Kindern neben dem Kurfürsten stehen und fragten sich untereinander: »Ist das unsres gnädigsten Herrn unrechte Frau? Sind das die unrechten Kinder? Wie darf er's tun und wir nicht?« Der Kurfürst hörte alles und flüsterte der Gießerin zu: »Du solltest beiseite gehn.« Seitdem mied sie die öffentlichen Feste.

In diesem Jagdschlosse zu Köpenick starb Joachim II. am 3. Januar 1571. Eine Wolfsjagd sollte abgehalten werden, trotz der bittren Kälte, die herrschte, und der fünfundsechzigjährige Joachim freute sich noch einmal des edlen Weidwerks, dran zeitlebens sein Herz gehangen hatte. Gegen Abend kehrte er aus den Müggelsee-Forsten nach Schloß Köpenick zurück und versammelte seine Räte und Diener um sich her. Distelmeyer, der Kanzler, Matthias von Saldern, Albrecht von Thümen, der Generalsuperintendent Musculus, alle waren zugegen. Man setzte sich zu Tisch und speiste in christlicher Fröhlichkeit. Der Diskurs ging bald von geistlichen Dingen, und der Page wurde beauftragt, Dr. Lutheri Predigt über die Weissagung des alten Simeon vorzulesen. Nach der Vorlesung wurde viel von Christi Tod und Auferstehung gesprochen, von seiner großen Liebe und seinen bittren Leiden; dabei zeichnete der Kurfürst ein Kruzifix auf den Tisch, betrachtete es andächtiglich und ging dann zu Bett. Als er einige Stunden geruht, überfiel ihn eine Pressung auf der Brust, mit einer starken Ohnmacht. Der Kanzler und die Räte wurden geweckt, aber das Übel wuchs rasch, und nach einigen Minuten verschied der Kurfürst mit den Worten: »Das ist gewißlich wahr.«

Wir hören danach von dem Joachimischen Jagdschloß erst 1631 wieder, als König Gustav Adolf sein Hauptquartier darin nahm und an den schwankenden Kurfürsten George Wilhelm die Aufforderung schickte, ihm die Festungen Küstrin und Spandau ohne weiteres einzuräumen. Dieser Brief führte zu jener bekannten Zusammenkunft im Gehölz bei Köpenick, die von dem entschlossenen, keine Halbheit duldenden Gustav Adolf mit den Worten abgebrochen wurde: »Ich rate Eurer Kurfürstlichen Durchlaucht, Ihre Partei zu ergreifen, denn ich muß Ihnen sagen, die meinige ist schon ergriffen.«

Neun Jahre später machte der Regierungsantritt des »Großen Kurfürsten« dem Elend des Landes ein Ende, aber Schloß Köpenick sank an Ansehn und Bedeutung. Eine neue Zeit und ein neuer Geschmack waren gekommen; die Zeit des französischer Einflusses begann, und die alten Jagdschlösser mit gotischen Türmen und Giebeln, mit schmalen Treppen und niedrigen Zimmern konnten sich neben der Pracht und Stattlichkeit der Renaissance nicht länger behaupten. 1658 ward ein alchimistisches Laboratorium, eine Goldmache-Werkstatt, in denselben Zimmern eingerichtet, drin Kurfürst Joachim einst den selbsterlegten Hirsch auf reichbesetzter Tafel gehabt hatte, und endlich 1677 fiel das alte Jagdschloß gänzlich, um einem Neubau, dem dritten also, Platz zu machen.

Diesem dritten, noch existierenden Schloß Köpenick, einer Schöpfung Rütgers von Langenfeld, der es um die angegebene Zeit für den Kurprinzen Friedrich erbaute, gilt nunmehr unser Besuch.

Wir benutzen den Omnibus, der zwischen Berlin und Köpenick fährt, haben ein sauberes, sorglich gepflegtes Gehölz zu beiden Seiten und rollen an einem klaren Herbsttage die Chaussee entlang, an Plätzen voll historischer Erinnerung vorüber. Zunächst an jener Waldwiese, wo einige Heißsporne vom schwer beleidigten märkischen Adel den jugendlichen Joachim aufzuheben gedachten, danach aber um jene Begegnungsstelle herum, wo Gustav Adolf und Kurfürst George Wilhelm nach kurzer Unterredung so wenig befriedigt voneinander schieden. In raschem Trabe geht es dahin, die Pferde werfen die Köpfe und zeigen ein Behagen, als freuten sie sich mit uns der Herbstesfrische. Die Eichen und Birken, die eingesprengt im Tannicht stehn, lassen die Landschaft in allen Farben schillern, und der herbe Duft des Eichenlaubes dringt bis zu uns in den Wagen hinein. Jetzt aber trifft uns ein Luftzug mit jener feuchten Kühle, die dem Reisenden ein Wasser ankündigt, und im nächsten Augenblicke haben wir ein breites Strombett vor uns, an dessen jenseitigem Ufer, aus hohen Pappeln hervor, ein graugelber Schloßbau ragt. Über die Brücke hin rollt der Wagen und hält jetzt auf einem unregelmäßigen, ziemlich geräumigen Platze, der zwischen dem Schloß und der Stadt Köpenick liegt. Wir steigen aus, werfen nach links hin einen Blick in eine leis gebogene Straße, deren beschnittene Lindenbäume dem Ganzen ein freundliches Ansehn leihn, und schreiten über den Schloßgraben dem Schloßhofe zu, den von zwei Seiten her die Bäume des Parks überragen.

Das gegenwärtige Schloß Köpenick hat drei Stockwerke, seine Façaden sind einfach und schmucklos, und nur einzelne Teile zeigen sich mit Reliefs und Statuen geschmückt. Um das um mehrere Fuß zurücktretende Dach ist eine stattliche Balustrade gezogen.

Und dieser Stattlichkeit begegnen wir überall, am meisten freilich in der inneren Einrichtung, in der Anlage der Zimmer, Treppen und Korridore, die den Eindruck machen, als habe der Baumeister nichts so ängstlich vermeiden wollen als die Gedrücktheit der Turm- und Erkerstuben, die sonst hier heimisch waren. Nirgends ein Geizen mit dem Raum, aber auch nirgends ein Geizen mit dem, was erheitert und schmückt. Wohin wir blicken, eine Fülle reizendster Details, die vielleicht wie Überladung wirken würden, wenn nicht die Dimensionen ein Sich-Vordrängen des einzelnen verhinderten. All diese Karyatiden und Pfeiler und Säulen mit reichgegliedertem Kapitell treten dienend in den Hintergrund zurück, und die schweren Stuckornamente verlieren anscheinend ihre Schwere. Zu diesen Stuckornamenten gesellten sich auch noch allerlei Plafondbilder, die durch die Säle des Schlosses hin abwechselnd den Jagdzug der Diana, ihren Zorn über Aktäon und ihre Liebe zum Endymion darstellten, aber nur wenige dieser Gemälde sind bis auf unsere Zeit gekommen, und diese wenigen verbergen sich hinter einer sorglich aufgetragenen Bekleidung von Mörtel und Gips. Sie warten auf die Stunde, wo das alte Schloß, das seit siebzig Jahren immer nur der Prosa hat dienen müssen, die poetischen Tage königlicher Pracht wieder erblicken wird, um dann auch ihrerseits aus ihrer Hülle heraustreten und den neuen Glanz in altem Glanze begrüßen zu können. Dies gilt namentlich von dem im ersten Stockwerk gelegenen »Königssaal«, der eine Fülle der schönsten Bilder und Plafondornamente hinter einer Überkleidung verbergen soll.

Wir haben in dem Bestehen Schloß Köpenicks drei Perioden unterschieden und in Erinnerung an die wechselnden Bauten, die hier standen, von einem alten, einem mittleren und einem neuen Schloß Köpenick gesprochen. Aber auch dies neue Schloß Köpenick teilt sein zweihundertjähriges Leben wieder in verschiedene Stadien, unter denen wir, mit Umgehung gleichgültigerer Jahrzehnte, vier Hauptepochen unterscheiden.

Diese vier Hauptepochen des neuen Schloß Köpenicks sind die folgenden: erstens die Zeit des Kurprinzen Friedrich, von 1682 bis 1688; zweitens die Zeit Friedrich Wilhelms I., insonderheit das Jahr 1730; drittens die Zeit Henriette Marias, gebornen Markgräfin von Brandenburg-Schwedt, von 1749 bis 1782, und viertens die Zeit des Grafen von Schmettau, von 1804 bis 1806. An eine Besprechung dieser vier Hauptepochen wird sich schließlich noch eine kurze Darstellung der Schicksale zu knüpfen haben, die Schloß Köpenick seitdem erfuhr.

Die Zeit des Kurprinzen Friedrich, von 1682 bis 1688

In welchem Jahre Kurprinz Friedrich seinen Einzug in Schloß Köpenick hielt, ist nicht genau mehr festzustellen, wahrscheinlich um 1680. Der Schloßbau wurde zwar vor 1681 nicht beendet, ja, das Sandsteinportal, durch das wir in den Schloßhof eintraten, trägt sogar erst die Jahreszahl 1682, es ist indes eher wahrscheinlich als nicht, daß Kurprinz Friedrich die Vollendung des ganzen Baus nicht erst abwartete und sich bereits zwei Jahre früher mit dem begnügte, was fertig war. Die Verhältnisse zwangen ihn fast dazu. Seiner alten Feindschaft mit seiner Stiefmutter, der holsteinischen Dorothea, war im Jahre 1679, bei Gelegenheit seiner Vermählung mit der hessischen Prinzessin, zwar eine Versöhnungsszene gefolgt, aber diese Versöhnung hatte die Abneigung der Mutter und das Mißtrauen des Sohnes um nichts gebessert. Plötzliche Erkrankungen, auch Todesfälle regten den alten Verdacht wieder an, und nachdem Kurprinz Friedrich selbst, und zwar bei Gelegenheit eines Festmahls, das ihm die Stiefmutter gab, von einem heftigen Kolikanfall heimgesucht worden war, steigerten sich seine Befürchtungen bis zu solchem Grade, daß er seinen Vater um die Erlaubnis bat, sich nach Schloß Köpenick zurückziehen zu dürfen. Nicht in Freuden zog er in die schönen Räume ein, die zum Teil noch ihrer Vollendung entgegensahen; das Schloß war ihm mehr ein rettendes Asyl als eine Stätte heitrer Flitterwochen, und in Bangen und Einsamkeit vergingen ihm die Tage selbstgewählter Verbannung. Sein schwacher Körper verbot ihm die Freuden der Jagd, und die Deckengemälde (die Jagdzüge Dianas), die um ihn her entstanden, erinnerten ihn nur an das, was ihm gebrach. Gleichförmig öde spannen sich die Wochen ab, und was diese Gleichförmigkeit von Zeit zu Zeit unterbrach, waren meist frostige Feste, die dem Tode zu Ehren gefeiert wurden. Am 7. Juli 1683 starb des Kurprinzen Gemahlin, und immer dunkler und schwerer hing es über Schloß Köpenick.

Da endlich kam Sonnenschein. Das Trauerjahr war um, der Flor fiel, Hochzeit gab es wieder, und Sophie Charlotte, »die philosophische Königin«, hielt ihren Einzug in die Marken. Zwanzig Jahre lang stand von jenem Tag an die helle Sonne dieser Frau über dem dunklen Tannenlande und gab ihm eine Heiterkeit, die es bis dahin nicht gekannt hatte. Aber ihr lachendes Auge, das über so vielem leuchtete, leuchtete nicht über Schloß Köpenick. Waren ihr die Zimmer zu hoch, die Bäume zu dunkel, die Traditionen zu trist – gleichviel, sie vermied die Stätte, darin die hessische Prinzessin, des Kurprinzen erste Gemahlin, ihre Tage hinweggeängstigt hatte, und die sonnenbeschienenen Abhänge des Dorfes Lützow entsprachen mehr ihrem heitern Sinn. Schloß Köpenick verödete, wurde stiller und verlassener, als es je gewesen, und Schloß Charlottenburg mit funkelnder Kuppel und goldnen Figuren wuchs statt seiner empor.

Die Zeit Friedrich Wilhelms I.

Schloß Köpenick war tot, bis es der soldatische Sohn Sophie Charlottens zu neuem Leben erweckte. Die Jagdpassion kam wieder zu Ehren, und Tage brachen wieder an, wie sie Kurfürst Joachim nicht wilder und weidmännischer gekannt hatte. Jene Dianenbilder an Plafonds und Simsen, die dreißig Jahre lang ein Hohn gewesen waren, sie kamen jetzt zum ersten Male, seit Rütger von Langenfeld die Säle und Korridore mit ihnen geschmückt hatte, zu ihrer Bedeutung und ihrem Recht. Jagd tobte wieder um Schloß Köpenick her, und Fangeisen und Hörner waren wieder in ihm zu Haus.

Diese Jagden zeichneten sich durch Gefahren aus, die mehr aufzusuchen als zu vermeiden für guten Ton galt. Züge von Ritterlichkeit machten sich geltend, die an den Hof Franz' I. erinnert haben würden, wenn nicht, anstelle galanten Minnedienstes, jene kurbrandenburgische Derbheit vorgeherrscht hätte, der zu allen Zeiten ein Kraftwort weit über ein Liebesgedicht oder ein Wortspiel ging. Bei diesen Jagden, wie Schloß Köpenick sie damals häufig sah, wurde fast jedesmal der eine oder andere schwer verwundet, wenn nicht getötet. In ein viereckiges Gehege von 600 bis 700 Schritten, das von Leinen eingeschlossen war, ließ man oft 200 oder 300 wilde Schweine von jedem Alter und jeder Größe ein. Hier erwarteten sie die Jäger, je zwei und zwei, um die wild Hereinbrechenden auflaufen zu lassen. Verfehlten sie das Tier oder zerbrach das Fangeisen, so wurden sie oft über den Haufen gestoßen und von dem verwundeten Wildschwein übel zugerichtet. Zuweilen nötigte der König auch wohl seine Jäger und Pagen, die größten Keiler bei den Ohren zu fassen und mit Gefahr ihres Lebens so lange festzuhalten, bis er selbst herbeikam, um sie abzufangen. Wer sich zu solchem Dienste weigerte, galt für feige. Der König selbst ward auf einer dieser Jagdpartien, in unmittelbarer Nähe von Köpenick, stark verwundet und würde sein Leben eingebüßt haben, wenn ihm nicht einer seiner Jäger rechtzeitig beigesprungen wäre. Blutend schaffte man ihn nach Köpenick. Es war am 15. Januar 1729.

Das nächste Jahr brachte gewichtigere Tage, Tage, die den Namen Schloß Köpenicks mit einer der interessantesten Episoden unserer Geschichte für immer verwoben haben. Am 28. Oktober 1730 trat hier das Kriegsgericht zusammen, das über den Lieutenant Katte vom Regiment Gensdarmes sowie über den »desertierten Obristlieutenant Fritz« Urteil sprechen sollte. Diese höchst denkwürdige Sitzung fand in dem sogenannten Wappensaale statt. Unter den vielen Sälen des Schlosses ist er nicht nur der historisch interessanteste, sondern auch dadurch vor allen andern bemerkenswert, daß er in seiner Einrichtung und Ausschmückung weder bedeutend gelitten hat noch auch hinter einer Gips- und Mörtelverkleidung seine Vorzüge verborgen hält. Dieser Wappensaal (wegen einer in ihm aufgestellten Orgel auch der »Orgelsaal« geheißen) ist zwei Treppen hoch gelegen und blickt mit seinen Fenstern auf die Spree hinaus. Im Verhältnis zu seiner Tiefe hängt die Decke zu niedrig und würde bei ihrer reichen Ornamentik noch viel mehr den Eindruck davon machen, wenn nicht die hellen Farbentöne, Weiß und Lila, die durch den ganzen Saal hin vorherrschen, eine gewisse Luftigkeit wiederherstellten. Die völlig weiß gehaltene Decke wird von etwa zwanzig Karyatiden gestützt, die alle vier Seiten des Saales umstehen und auf ihrer Brust die Wappenschilde der verschiedenen preußischen Gebietsteile jener Epoche tragen. Eine bestimmte Reihenfolge, nach den Provinzen, ist bei Aufstellung derselben nicht beobachtet worden, und Kassuben und Wenden, Jägerndorf und Minden, Ravensberg und Gützkow, dazu Ruppin, Cammin, Mark, Crossen, Barth, Pommern, Kleve usw. folgen bunt aufeinander. An den beiden Längswänden befinden sich auch ein paar große Kamine, reich verziert mit allerhand Emblemen und Wappenfiguren; alles weißer Stuck, wie der ganze Rest der Ausschmückung überhaupt. Das Ganze, weniger schön als von entschieden historischem Gepräge, macht es einem glaublich, daß hier an langer Tafel das Kriegsgericht saß, das über Tod und Leben eines Prinzen und seiner Mitschuldigen aburteilen sollte.

Der Tag, an dem die Kriegsgerichtssitzung im » Wappensaale zu Köpenick« stattfand, war, wie bereits erwähnt, der 28. Oktober 1730. In dem Kapitel » Küstrin« (Band II, »Oderland«) hab ich ausführlich darüber berichtet. Hier nur noch einmal das: Die das Kriegsgericht bildenden sechzehn Offiziere lehnten einen Rechtsspruch über den Kronprinzen einfach ab und verurteilten den Lieutenant von Katte zu lebenslänglichem Festungsarrest. Der König stieß dies Urteil um. Manche Punkte hinsichtlich dieser Vorgänge waren bis in die neueste Zeit hinein nicht völlig aufgeklärt, das aber hat immer festgestanden, daß jene denkwürdige Kriegsgerichtssitzung im großen Wappensaale zu Köpenick stattfand. Vielleicht wär es angebracht, wenn nicht ein historisches Bild, so doch wenigstens eine Gedächtnistafel aufzurichten, die die Erinnerung an jenen Tag an ebendieser Stelle lebendig hält.

Die Zeit Henriette Maries, von 1749 bis 1782

Henriette Marie, geborne Prinzessin von Brandenburg-Schwedt, hatte sich mit vierzehn Jahren bereits an den Herzog von Württemberg-Teck vermählt und war mit neunundzwanzig Jahren Witwe geworden. Als solche lebte sie zunächst in Berlin und erschien während der letzten Regierungsjahre Friedrich Wilhelms I. bei allen Hoffesten. Auch noch unter dem großen Könige. So gingen die Dinge bis 1749, um welche Zeit ihr Schloß Köpenick als Witwensitz angewiesen wurde. Es hieß damals, »sie sei verbannt«, auch scheint sie von jenem Zeitpunkt ab am Berliner Hofe nicht länger erschienen zu sein. Welche Gründe den König zu dieser Verbannung veranlaßten, ist nur zu mutmaßen, nicht nachzuweisen. Es heißt, daß Friedrich II. an dem wenig korrekten Lebenswandel der Prinzessin Anstoß genommen habe, doch ist es nicht unwahrscheinlich, daß andere Dinge mit ins Spiel kamen und den Ausschlag gaben. Die Seitenlinie Brandenburg-Schwedt wurde vom großen Könige mit derselben Abneigung betrachtet, die schon sein Vater und namentlich sein Großvater Friedrich I. gegen dieselbe gehegt hatte, und – »wie's in den Wald hineinschallt, so schallt es auch wieder heraus«. So bedeutend jene Zeit in vielen Stücken war, so war sie's doch keineswegs in allen, und Klatsch, Intrigue und chronique scandaleuse hatten ein unglaublich großes Feld. Wir werden kaum irren, wenn wir annehmen, daß Prinzessin Henriette Marie ihre Zunge weniger als wünschenswert im Zaum gehalten habe und daß dieser Umstand mit zur unfreiwilligen Muße von Köpenick führte. Daß die Prinzessin infolge davon dreißig Jahre lang die Kunst des Schweigens geübt habe, haben wir allerdings nicht die geringste Ursach anzunehmen, es scheint vielmehr, daß man sich die Langeweile durch allerpikanteste Plaudereien nach Möglichkeit vertrieben und alle Mesquinerien eines kleinen Hofes, als bestes Mittel, die Zeit hinzubringen, mit wahrer Meisterschaft kultiviert habe. Über das damalige Leben im Köpenicker Schlosse geben einige Notizen Aufschluß, denen wir in einer Biographie des Freiherrn von Krohne, der sich königlich polnischer Wirklicher Geheimerat nannte, begegnen. Dieser Abenteurer, der überall im trüben zu fischen und an kleinen Höfen sein »Fortune« zu machen suchte, kam auch an den Hof des Markgrafen Friedrich Wilhelm von Schwedt, des regierenden Bruders unsrer Henriette Marie, deren Hofstaat der Markgraf aus den Revenuen seines Schwedter Markgrafentums zu unterhalten hatte. Prinzessin-Schwester brauchte mehr, als Markgraf-Bruder zu zahlen liebte, und so wurde denn Freiherr von Krohne, nachdem er eben seine Dienste angeboten, an den Köpenicker Hof geschickt, angeblich um der Prinzessin als Kammerherr zu Diensten zu sein, in Wahrheit aber, um die Ausgaben, zu denen ihre Freigebigkeit oder ihre Verschwendung führte, zu kontrollieren. Freiherr von Krohne traf ein, debütierte mit Geschick, wußte einen Hofrat, der ihm in Schwedt als Hauptträger des Verschwendungssystems bezeichnet worden war, glücklich zu entfernen und stand bereits auf dem Punkte, sich als Erster Minister und Plénipotentiaire am Hofe zu Köpenick zu etablieren, als die beiden alten Günstlinge der Prinzessin, die bis dahin auf gegnerischem Fuße gestanden und ihre Macht balanciert hatten, sich zum Untergange des Eindringlings verschworen. Kammerherr von Wangenheim und Hofprediger Saint-Aubin [Fußnote] schlossen Frieden, entlarvten den immer mächtiger werdenden Freiherrn als eine Kreatur des Schwedter Markgrafen und stürzten ihn auf der Stelle. Kammerherr von Wangenheim, von dem eigens hervorgehoben wird, daß er ein sehr starker Mann gewesen, übernahm zu größerer Sicherheit die Exekutive seiner eigenen Maßregeln und schaffte den gestürzten Nebenbuhler bis vor das Portal des Schlosses.

So lebte man damals in Schloß Köpenick. Klein und bedeutungslos vergingen die Tage, die selbst in der überkommenen Ausstattung und Einrichtung nicht das geringste geändert zu haben scheinen. Wie konnten sie auch! Der prinzeßliche Hof zu Köpenick war ein bloßes Filial des markgräflichen Hofes zu Schwedt, der doch seinerseits auch nur wieder ein Filial, eine bedeutungslose Abzweigung des berlin-potsdamschen Hofes war.

Das dreißigjährige Leben der Prinzessin hat keine Spur zurückgelassen, aber was ihrem Leben nicht gelang, das gelang ihrem Tode. Henriette Marie starb in Schloß Köpenick und ist in der Schloßkapelle daselbst begraben worden. In der jedem Besucher zugänglichen Gruft dieser Kapelle steht ein schwerer Eichensarg, der auf seinem obersten Brett ein vergilbtes seidenes Kissen und auf dem Kissen eine Krone von dünnem, verbogenen Goldblech trägt. Hebt man den Deckel vom Sarg, so erblickt man in diesem die in ihrem achtzigsten Jahre verstorbene Prinzessin als Mumie. Tüllhaube und Seidenband legen sich noch um Stirn und Kinn, und das schwere gelbe Brokatkleid zeigt noch seine Falten und raschelt und knistert als wär es gestern gemacht.

Wir schließen den Sargdeckel wieder und steigen aus der Gruft in die Kapelle zurück. Eine hohe, reichverzierte Decke wölbt sich über uns und macht den Eindruck des Freundlichen, ohne den des Feierlichen vermissen zu lassen, links vom Altar aber, in einen Fensterpfeiler eingefügt, gewahren wir eine prächtige Tafel von poliertem schwarzen Marmor, auf der wir in Goldbuchstaben folgende Worte lesen: »Diese Gruft umschließt die verweslichen Überreste der durchlauchtigsten Fürstin und Frau, Henriette Marie, geborene Prinzessin von Preußen und Brandenburg, vermählte Erbprinzessin und Herzogin von Württemberg und Teck. Sie war geboren den 11. März 1702, vermählt den 8. Dezember 1716 mit dem Erbprinzen Friedrich Ludwig von Württemberg, ward Witwe den 23. November 1731, entschlief in dem Herrn den 7. Mai 1782. Dieses Denkmal setzte ihr ihre einzige Tochter, Luise Friederike, Herzogin von Mecklenburg-Schwerin, geborne Herzogin von Württemberg und Teck.«

Die Zeit des Grafen Schmettau, von 1804 bis 1806

Nach dem Tode Henriette Maries wurde Schloß Köpenick völlig vernachlässigt und endlich im Jahre 1804 an den Grafen Friedrich Wilhelm Karl von Schmettau verkauft. Dieser Graf Schmettau, ein besonderer Liebling Friedrichs II., ist derselbe, der von seiten des großen Königs zum Adjutanten seines jüngsten Bruders, des Prinzen Ferdinand von Preußen, ernannt ward und in dieser intimen Stellung zu einer Fülle pikanter Anekdoten und Ondits Veranlassung gab, an denen das preußische Hofleben jener Zeit so reich war. Zu untersuchen, wieviel Wahrheit oder überhaupt ob irgendwelche Wahrheit diesen anekdotischen Überlieferungen zugrunde liegt, liegt jenseits unserer Aufgabe; wir begnügen uns damit, das zu konstatieren, worüber Freunde und Feinde des Grafen, wenn er Feinde hatte, zu jeder Zeit einig waren: seine Gelehrsamkeit und seine weltmännische Bildung, seine militärischen Kenntnisse und seine Tapferkeit. Als der Krieg mit Frankreich mehr und mehr unvermeidlich zu werden drohte, gehörte er zu denen, denen Armee und Volk das meiste Vertrauen entgegentrugen. Beim Ausbruch der Feindseligkeiten führte er als Generallieutenant seine Division nach Thüringen und trat unter den Oberbefehl des Herzogs von Braunschweig. Beide teilten wenige Tage später dasselbe Schicksal. Bei unserem heutigen Besuch in Schloß Köpenick indes lernen wir den Grafen Schmettau weder als Kavalier und Weltmann noch als Soldat und Heerführer kennen; sinnig, ein heitrer Philosoph, ein Freund der Wissenschaften und aller Künste des Friedens, so tritt er an uns heran. Nur zwei kurze Jahre waren ihm an dieser Stelle gegönnt, aber sie genügten ihm, um überall eine Spur seines Wirkens zurückzulassen. Wir übergehen Urnen und Inschriften, wie sie sich in den schattigen Gängen des Parkes vorfinden, und treten im ersten Stock des Schlosses in ein nach Südosten hin gelegenes Eckzimmer, dessen eines Fenster auf den Park, das andere auf die Wendische Spree herniederblickt. Es ist nicht leicht möglich, beim Durchstöbern alter Schlösser einem überraschenderen Anblick zu begegnen. Der ganze Raum ist zeltartig mit einem weißen und gelben Gazestoff ausgeschlagen, und zwar so, daß die Deckendrapierung den Plafond in zwei gleiche Hälften teilt. An jeder der beiden Stellen nun, wo die Gaze zu einer Art Betthimmel zusammengefaltet ist, befindet sich ein Deckengemälde allegorischen Inhalts. Auf dem ersten, mehr dem Fenster zu gelegenen, bringt Merkur der Minerva eine Pergamentrolle, auf der der Name Roßbach steht; Minerva ihrerseits hält einen Lorbeerkranz in der Rechten, bereit, ihn gegen die Siegesbotschaft auszutauschen. Das zweite Bild, ungleich besser in Komposition und Farbe, stellt eine Apotheose des großen Königs dar. Auf einer Felsenburg zur Linken stehen Krieger und blicken einer Anzahl davoneilender Genien nach, die das goldumrahmte Bildnis Friedrichs in ihrer Mitte tragen und mit dieser ihrer Last dem Tempel des Ruhmes zuschweben. Zur Rechten ragt der Tempel selber auf, auf dessen oberster Stufe die hohe Göttin steht und sich anschickt, das Bildnis des Königs mit ihrem Sternendiadem zu krönen. Von Mobiliar keine Spur in diesem Raume, der seit Anno 6 überhaupt unbewohnt geblieben ist und dessen Durcheinander von Spinnweb und Gaze, von Farbenglanz und blinden Fensterscheiben, von Ruhmesverherrlichung und Staub eine Wirkung macht, der sich wenige Besucher werden entziehen können. Alles Mobiliar, so sagt ich, fehlt, aber ein eigentümlicher Zimmerschmuck ist dennoch diesen Mull- und Gazewänden geblieben. Die ganze hintere Hälfte des Zimmers ist mit großen Schlachtplänen dekoriert, die wohl ziemlich unzweifelhaft von der Hand des Grafen selbst herrühren. Derselbe gesellte nämlich zu seinen übrigen Gaben auch das Talent eines ausgezeichneten Topographen und Kartenzeichners, und die berühmte Generalkarte des preußischen Staats, die bis diesen Augenblick in dem Kartensaale des Kriegsministeriums aufbewahrt wird, bewahrt gleichzeitig den Namen Schmettaus in ehrendem Andenken. Die Aufschrift dieser Generalkarte, die auch schlechtweg die Schmettausche Karte heißt, lautet wie folgt: » Tableau aller durch den königlich preußischen Obersten Grafen von Schmettau von 1767 bis 1787 aufgenommenen und zusammengetragenen Länder«. Dieselbe geschickte Hand, die dieses berühmte »Tableau« zusammentrug, hat sehr wahrscheinlich auch die sieben Schlachtpläne gezeichnet, denen wir in diesem abgelegensten und ungekanntesten Zimmer des Köpenicker Schlosses begegnen. Nur die Siegesschlachten des großen Königs haben hier Aufnahme gefunden, und die Inschriften der verschiedenen Blätter lauten wie folgt: »Bataille und Belagerung von Prag«; »Schlacht bei Roßbach«; »Bataille bei Lobositz«; »Schlacht bei Zorndorf«; »Schlacht bei Liegnitz«; »Schlacht bei Torgau« und »Schlacht bei Leuthen«. Die einzelnen Tableaux sind von verschiedener Größe, namentlich die Bataille und Belagerung von Prag sehr ausgeführt und größer als die übrigen, aber alle verraten dieselbe Meisterhand und tragen sämtlich statt der üblichen Holzeinfassung einen künstlichen Lorbeerkranz als Umrahmung. Es drängt sich dem Besucher Schloß Köpenicks die Frage auf: Was war die Bedeutung dieses Zimmers? Die Antwort ist nicht schwer. Es war die Stätte eines loyalen Kultus, ein Andachtsplatz, an den sich in Zeitläuften, die jeden anderen Stempel eher als den des großen Königs trugen, die schwärmerische Verehrung für den Hingeschiedenen zurückzog, um einer großen Zeit zu gedenken, die nicht mehr war. In diesem Zimmer war es auch wohl, daß Graf Schmettau die letzten Augenblicke zubrachte, bevor ihn das Jahr 1806 aus der Stille von Schloß Köpenick wieder in den Lärm des Krieges rief. Und was er an dieser Stelle gelobt hatte, das hielt er. Am Unglückstage von Auerstedt, unglücklich nicht durch seine Schuld, erstürmte er, an der Spitze seiner Bataillone, die Höhen von Hassenhausen, die der Feind unterm Schutz eines herbstlichen Morgennebels schon vor ihm besetzt hatte. Zweimal nahm er sie, und zweimal war er gezwungen, sie wieder aufzugeben. Als er sich zum dritten Angriff anschickte, um den entscheidenden Stoß zu tun und die mehr und mehr in Unordnung geratenden Franzosen in das Saaletal hinabzudrängen, traf ihn eine Kartätschenkugel und warf ihn tödlich verwundet vom Pferde. Vier Tage nach der Schlacht verschied er, am 18. Oktober 1806. So starb Friedrich Wilhelm Karl Graf von Schmettau, nicht an Glück, aber an jeglichen Gaben des Herzens und Verstandes jenen Schmettaus gleich, die unter Eugen und Marlborough zuerst die Schlachtfelder Europas betraten und unter dem großen Könige, siegreich kämpfend, den Ruhm ihrer Familie begründet hatten. Schloß Köpenick war wieder verwaist. Die Krone kaufte den Besitz zurück, aber Zimmer und Treppen blieben öde. Das Laub an Ulmen und Ahornplatanen kam und ging, ohne daß die Gänge des Parks ein anderes Leben gesehen hätten als die laute Heiterkeit der Köpenicker Schuljugend, die hier ein prächtiges, von Gestrüpp durchwachsenes Terrain fand für »Hirsch und Jäger« und »Wanderer und Stadtsoldat«. Jahrzehnte vergingen so. Da zog wieder Leben ein in Schloß Köpenick, aber welch ein Leben! Die Fenster, die nach dem Wasser hinaus lagen, wurden mit Holz bekleidet, und nur ein schmaler Streifen blieb offen, der dem Lichtstrahl von oben her einen Eingang gestattete. Geschlossene Wagen rollten über die Brücke, alles war in Dunkel und Geheimnis gehüllt; es ging »ein finstrer Geist durch dieses Haus«. Die hohen Schwarzpappeln, die alten Wächter am Portal, standen unheimlicher da denn je zuvor, und drinnen und draußen war kein Spielen und Lachen mehr. Hunderte saßen hinter den Gitterfenstern, die doch keine Fenster mehr waren, und nichts unterbrach die finstre Stille des Orts; wie das Licht, so schien auch der Klang von seinen Mauern ausgeschlossen. Eine trübe Zeit. Übermut hatte gefehlt, und Mangel an Mut hatte zu Gericht gesessen; waghalsige Schwärmerei, mißleitete Begeisterung büßten hart für den eitlen Irrtum einer Stunde. [Fußnote] Und wieder andre Zeiten kamen. Wie einen schweren Traum schüttelte Schloß Köpenick seine jüngste Vergangenheit ab. Die Fenster blitzten wieder, wenn die Morgensonne darauffiel, und auf dem Platze, der zwischen Schloß und Schloßkapelle liegt, entstand ein Garten. Blumen blühten wieder, und eine heitere Jugend hielt ihren Einzug. Eine heitere, denn sie kam nicht, um für Eitelkeit und Übermut über Gebühr zu büßen, sie kam, um in Demut und Bescheidenheit zu lernen. Und diese Jugend weilt noch darin. Allabendlich um die Dämmerstunde, wenn die Orgel zu Gesang und Andacht ruft und Lehrer und Schüler sich im alten Wappensaale des Schlosses versammeln, ist es wohl, als ging' es wieder um und als husch es in den Korridoren auf und nieder, aber die leisen Klageworte des Kurprinzen, der hier Schutz und Zuflucht suchte, das Kriegsgerichtsurteil, das hier gesprochen wurde, die Seufzer derer, die hier nach Licht und Freiheit rangen – alles verklingt doch als überwundene Dissonanz in dem vollen Brausen des Orgelchors, der eben jetzt das große Vertrauenslied in die Ratschlüsse Gottes anstimmt: » Ein feste Burg ist unser Gott«.